Casting-Shows sind das Letzte. In diesen Shows geben sich ganz normale Menschen in der Hoffnung auf 15 Minuten Ruhm vor einer mehr oder weniger mitleidlosen Jury der Lächerlichkeit preis. Ich meine nicht Dancing Stars, das ist etwas anderes. Da werden B- und C-Prominente dafür bezahlt, zum Gaudium des Publikums den Tango-Dilettanten zu spielen. Bei Casting-Shows, da macht man sich über Amateure lustig, die mit Herzblut singen, trommeln oder einen dressierten Hund hüpfen lassen. Profitieren tun davon nur die Fernsehsender und die eigentlichen Stars der Sendung – die Juroren. Je gnadenloser sie mit den Leuten umspringen, desto populärer werden sie. Nehmen wir nur Dieter Bohlen, der mit „Deutschland sucht den Superstar“ seine dritte, bisher einträglichste Karrierestufe erreicht hat. In den 1980ern verwüstete er mit Modern Talking die deutsche Musikszene, in den 90ern fiel er vor allem durch unschöne Zusammenstöße mit den jeweiligen Lebensabschnittspartnerinnen auf. Und seit der Jahrtausendwende erklärt er gegen gutes Geld engagierten jungen Menschen, dass sie alles falsch machen. Grad er! Keine Sekunde hätte der damals frischgebackene Möchtegern-Musikus vor seinem eigenen, heutigen Urteil bestehen können. Jetzt macht er Kassa und Schlagzeilen mit überheblichem Spott auf Kosten der Kandidaten. Casting-Shows sind das Allerletzte!
So, oder so ähnlich, habe ich das meiner Tochter erklärt. Mit dem pädagogisch eher unbeabsichtigten Ergebnis, dass sie meine Mutter angerufen, sich dort fürs Wochenende eingeladen und bei ihr „Deutschland sucht den Superstar“ geschaut hat. Wertvolle Zeit mit Omi! Aber kaum hatte ich mir diese wirklich klare Meinung zu dem Thema gebildet, kam eine Presseaussendung von der Wirtschaftskammer Oberösterreich. Die suchte im Rahmen einer Casting-Show „Lehrlings-Helden“. Dabei mussten die Bewerber eine Jury durch ihr Engagement und ihre Persönlichkeit überzeugen. Die Bewerbe fanden im Jugendtheater statt, beim Roten Kreuz, vor dem Radio-Mikrofon oder am Sportplatz. Das Ziel war und ist es, positive Charaktereigenschaften zu schulen, Vorbilder zu zeigen, Bewusstsein für die vielen Chancen zu schaffen, die Lehrlingen offenstehen, und insgesamt die Vielfältigkeit und den Chancenreichtum einer Lehre in Gewerbe und Handwerk anschaulich zu zeigen. Eine schöne Idee, bei der zudem ein Installateurlehrling den zweiten Platz geholt hat (siehe auch Seite 82).
Daraus habe ich wieder mal was gelernt: Es ist nicht das Prinzip Casting-Show an sich schlecht. Es kommt, wie immer im Leben, bloß darauf an, was man daraus macht. Wer keine guten Absichten hat, wird aus Musik immer Modern Talking machen, wo doch mit denselben Noten auch die Beatles oder die Zauberflöte möglich gewesen wären ... Also: Geben wir unser Bestes. Immer. Für alles.
Editorial_6_2013
Casting-Shows sind das Allerletzte. Wirklich? Immer?
- Sanierungsscheck wirkungslos?
- Editorial 7_8_2013