Wege zum klimaneutralen Gebäudebestand

Quelle: Zukunft Altbau
Das Herbstforum Altbau bot erneut geballtes Wissen rund um die energetische Sanierung für Fachleute – im Bild Frank Hettler von Zukunft Altbau.
Quelle: Zukunft Altbau

Das 23. Herbstforum Altbau präsentiert klimaneutrale Energiekonzepte und erfolgreiche Sanierungsbeispiele. Experten diskutierten auf dem Branchentreff von Zukunft Altbau über die energetische Gebäudesanierung.

von: Redaktion

Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, das Bundesland Baden-Württemberg sogar schon fünf Jahre früher. Wie das im Gebäudebestand gehen kann, zeigten Expertinnen und Experten am 24. November 2021 auf dem Herbstforum Altbau in Stuttgart. Bei dem deutschlandweit bekannten Expertenaustausch präsentierten sie klimaneutrale Sanierungskonzepte und gelungene energetische Modernisierungen von bestehenden Wohnhäusern. Auch die politischen Rahmenbedingungen, minimalistische Raumkonzepte und die Bedeutung der Kommunikation standen auf dem Programm. Virtuell dabei waren rund 600 Expertinnen und Experten aus Energieberatung, Handwerk, Architektur und Planung, Politik und Verwaltung sowie Kammern und Verbänden. Veranstalter der Fachtagung ist Zukunft Altbau, das vom Umweltministerium Baden-Württemberg geförderte Informationsprogramm. Das nächste Herbstforum Altbau findet am 23. November 2022 in Stuttgart statt.
Die Fachtagung bot einen Mix aus klassischen Live-Vorträgen, interaktiven, digitalen Elementen und dem „Markt der Möglichkeiten“, einer begleitenden virtuellen Ausstellung. Zudem gab es verschiedene Angebote für den Austausch untereinander. Zu Beginn sprach Dr. Michael Münter, ab Ende November der neue Amtschef des Umweltministeriums. Münter gab eine Übersicht über die aktuelle Energie- und Klimapolitik des Landes und wies auf die Weichenstellungen hin, die die neue Ampelkoalition im Bund rasch vornehmen müsse. So dürfe die neue Bundesregierung künftig nicht nur auf die finanzielle Förderung setzen, sondern sollte auch die energetischen Standards anheben. Kritisch sah Münter den Beschluss der Bauministerkonferenz am 18. und 19. November, die „einseitige Ausrichtung auf die Gebäudedämmung“ aufzugeben. Dämmung sei unverzichtbar, um die Energiewende zu stemmen. In den gesetzlichen Regelungen könne auch niemand ernsthaft eine einseitige Ausrichtung auf Dämmstoffe herauslesen.

Dämmung und Erneuerbare erforderlich
Dr.-Ing. Nikolaus Diefenbach vom Institut für Wohnen und Umwelt GmbH (IWU) sprach nach einem Überblick zum Klimaschutz im Gebäudebestand die immensen Herausforderungen für Wärmeschutz und Wärmeversorgung an. Beim Wärmeschutz liege die energetische Modernisierungsrate aktuell bei nur einem Prozent. Bei der Heizungserneuerung sei es dreimal so viel, wobei immer noch über 80 Prozent der bestehenden Wärmeerzeuger fossil betrieben würden. Wer die Klimaschutzziele erreichen wollte, müsse man doppelt so viele Gebäude konsequent dämmen. Eine deutliche Reduzierung des Wärmebedarfs sei nötig, da alle Energieträger begrenzte Potenziale aufwiesen. Zudem müsste die Heizungserneuerung weitgehend auf erneuerbare Quellen umgestellt werden. Elektrische Wärmepumpen würden hier eine große Rolle spielen. Erneuerbare Brennstoffe wie Wasserstoff aus Photovoltaik und Windenergie sind zwar nötig, sollten aber nur in begrenztem Umfang zum Einsatz kommen, beispielweise, um Spitzenlasten in Wärmenetzen abzufedern.

Weniger Platz und mehr Gewinn: Minimalistische Raumkonzepte
Die Veranstaltung widmete sich nach Politik und Wissenschaft der Umsetzung: Die freie Architektin Dipl.-Ing. Franziska Harms aus Heidelberg berichtete über minimalistische Raumkonzepte. Neben Effizienz und Erneuerbaren brauche es auch Suffizienz. Nötig sei eine absolute Energieverbrauchsreduktion, nicht nur eine relative pro Quadratmeter Wohnraum. Ein Beispiel zeigt, warum: Aktuell nutzt jede Person in Deutschland im Schnitt 47 Quadratmeter Wohnraum; in den siebziger Jahren war es noch die Hälfte. Dies müsse im Zuge der Energiewende wieder abnehmen. Hier gebe es viele Konzepte, um das zu erreichen. Der Wohnkomfort sinke dadurch bei guter Planung nicht. Beispiele seien die Schaffung von individuellen Lieblingsorten der Bewohner wie Lesefenster, große Ess- und Gemeinschaftsräume, zentrale Stauräume und deutlich verkleinerte Schlafgelegenheiten. Ihr Fazit: Suffizienz ermögliche eine hohe Wohnqualität – auch mit deutlich weniger Fläche.
Zwei Impulsvorträge lieferten erste Einblicke in den über Mittag angebotenen virtuellen Markt der Möglichkeiten. Anselm Laube von der Ludwigsburger Energieagentur LEA stellte klar, dass für einen klimaneutralen Gebäudebestand die energetische Modernisierung von Häusern und die Nutzung erneuerbarer Wärme nötig ist. Als Erneuerbare-Energien-Quellen, etwa für ein Wärmenetz, stünden vor allem Solarthermie und Wärmepumpen zur Verfügung. Hier schließt sich der Kreis zur Niedertemperatur, denn für einen ressourcenschonenden und wirtschaftlichen Betrieb dieser erneuerbaren Systeme ist eine Absenkung der Heizkreistemperaturen auf höchstens 55 Grad Celsius erforderlich.
Anne Svendsen von der dänischen Energieagentur erklärte, warum die Wärmewende in Dänemark so erfolgreich ist: Das Land hat ambitionierte Zwischenziele beim Klimaschutz und will bis 2030 die Menge an freigesetzten Treibhausgasen um 70 Prozent gegenüber 1990 absenken. Nachhaltiges Bauen ist ein Mittel, um die Ziele zu erreichen. Eine Schlüsselrolle spielen dabei verbrauchsbasierte Energieausweise, die Nutzung erneuerbarer Energien und der Ausbau von Wärmenetzen. Zudem hat das Land strenge Anforderungen an in Baumaterialien eingebettete Kohlenstoffemissionen bei Bau und Betrieb von Gebäuden formuliert.

Gelungene energetische Sanierungen als Vorbild
Wie die Energiewende im Gebäudebestand praktisch umsetzbar ist, zeigte Dipl.-Ing. Architekt Guido Schuler. Er stellte drei klimafreundliche Bestandssanierungen aus Baden-Württemberg vor, die zugleich einfach und kostengünstig umgesetzt wurden. Ein Beispiel ist das 1973 errichtete Wohnhaus Schmieder in Schenkenzell. Es wurde altersgerecht umgebaut, in zwei Wohnungen geteilt, die Gebäudehülle vorbildhaft gedämmt und eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung installiert. Als Wärmeerzeugung dient nun eine Wärmepumpe. Das energetische Resultat kann sich sehen lassen: Der Endenergiebedarf liegt nun bei zwölf Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr. Man kann also mit üblichen Mitteln klimafreundlich sanieren. Kosteneffizient war dies auch: Die Gesamtkosten betrugen rund 320.000 Euro. Einen guten Teil davon finanzierte der Staat über die finanzielle Förderung.
Die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Maren Urner von der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln sprach in ihrem Vortrag ein immer noch stark unterschätztes Thema an; die Bedeutung positiver und lösungsorientierter Kommunikation. Nach einer entwicklungsgeschichtlichen und psychologischen Herleitung wies Urner auf Faktoren hin, wie Menschen und die gesamte Gesellschaft aus Blockadedilemmata wie der stockenden Gebäudesanierung kommen können. Ein Stichwort lautet „neue Erfahrungen“. Wer neugierig sei, erfahre etwas Neues. Das versetze das Gehirn in einen Zustand, der offen mache für Veränderungen. Das Reden über Probleme schaffe Probleme, das Reden über Lösungen schaffe Lösungen, so ihr Credo. Wer dies mehr bedenke, könne Veränderungsimpulse anstoßen. Dazu brauche es neue Geschichten, die alte, schlechte Gewohnheiten brechen. Dies gelte auch für die Akteure im Gebäudesektor, denen beim Klimaschutz eine Schlüsselrolle zukommt. Fazit von Zukunft Altbau: Auch bei Gebäudesanierungen kommt es auf lösungsorientierte überzeugende Kommunikation und gute Beispiele an, die zum Nachmachen ermuntern: Sanierungen werden gefördert, sind gut für das Klima und steigern den Komfort.

Wege zum GEG 2.0
Ministerialrat Tilo Kurtz, Referatsleiter für Energieeffizienz von Gebäuden im Umweltministerium des Landes, skizzierte, warum ein erneuertes Gebäudeenergiegesetz (GEG) nötig ist und welche Eckpunkte es beinhalten muss. Der Jurist forderte unter anderem eine grundlegende Überarbeitung der Gesetzessystematik. Treibhausgasemissionen und Heizwärmebedarf sollten künftig die zentralen Anforderungsgrößen sein, statt Primärenergiebedarf und Transmissionswärmeverlust. Anstelle von Effizienzklassen kämen dann die Klimaklassen A+++ bis H. Mit ihnen ist der Treibhausgasausstoß von Gebäuden direkt ablesbar. Auch seien höhere energetische Anforderungen für Neubauten und Bestandsgebäude mit vorgegebenen Klimaklassen unabdingbar, die stufenweise erreicht werden müssen. Darüber hinaus seien weitergehende und schnellere Einschränkungen für die Nutzung fossiler Heizkessel, bessere Effizienzmaßstäbe im Betrieb sowie eine Neufassung der Energieausweise erforderlich. Ein besserer Vollzug mit schärferen Kontrollen findet sich ebenfalls in dem Vorschlag zum GEG 2.0 sowie ein höherer CO2--Preis. 2030 sollte er bei 125 Euro pro Tonne liegen und bis 2040 auf 275 Euro steigen. Durch die Aufnahme solcher Eckpunkte in das Gebäudeenergiegesetz könnten die ambitionierten Klimavorgaben im Gebäudebereich erreicht werden.
Dipl.-Ing. Architekt Martin Ploß vom Energieinstitut Vorarlberg erläuterte das Vorarlberger Forschungsprojekt KliNaWo. Zielvorgabe war, ein möglichst kostengünstiges Gebäudekonzept für neue Mehrfamilienhäuser zu erarbeiten, das trotzdem ambitionierte Klimaschutzziele erreicht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Mehrkosten hocheffizienter Gebäude so gering sein können, dass sie durch die Betriebskosteneinsparungen im Lebenszyklus mehr als ausgeglichen werden. Die Methodik des Projektes könne auf Sanierungen übertragen werden, auch in Deutschland, so Ploß. In diesem Kontext präsentierte er mehrere Bestandssanierungen aus Österreich und Deutschland. Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit können also auch bei energetischen Modernisierungen Hand in Hand gehen.
Boris Mahler von der EGS-plan Ingenieurgesellschaft für Energie-, Gebäude- und Solartechnik informierte die anwesenden Baufachleute darüber, wie klimaneutrales Bauen und Sanieren real möglich ist. Mahler ist Geschäftsführer eines der führenden deutschen Ingenieurbüros für Energie- und Gebäudetechnik und kennt sich in der Praxis, aber auch bei aktuellen Forschungsergebnissen bestens aus. Grundlage der Berechnung von klimafreundlichen Gebäuden müsse die Lebenszyklusbetrachtung von der Errichtung über die Nutzung bis hin zum Rückbau und Recycling sein. Der gesamte CO2-Ausstoß von Gebäuden müsse von heute 30 Kilogramm pro Quadratmeter auf 4 Kilogramm 2040 sinken. Bei größeren Liegenschaftsbeständen brauche es, um dieses Ziel zu erreichen, eine richtige Projekt- und Maßnahmenreihenfolge: Nach Analyse und Auswertung der Daten erfolge die Auswahl der passenden Maßnahmenpakete. Dies zeige einen zeitlich sinnvollen Pfad in Richtung klimaneutralen Gebäudebestand auf.


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