Noch immer werden viele Bäder so gebaut, dass Barrierefreiheit keine Rolle spielt. Das passiert sowohl im Neubau, wo schon bei der Planung der Grundrisse entscheidende Fehler passieren, als auch in der Sanierung. Die Folge: Mit fortschreitendem Alter müssen häufig Menschen ins Heim, weil sie daheim einfach nicht mehr alleine zurechtkommen. Entscheidend für das selbstbestimmte Leben im Alter ist der intimste Raum, den es gibt: das Bad. Der Bäderbau ist die Kernkompetenz des Installateurs, kein anderes Gewerk kann der Branche hier das Wasser reichen. Warum der Weg zur Barrierefreiheit als Standard noch so weit ist und was wir alle dafür tun können, darüber diskutierten auf Einladung von Duschenspezialist Artweger Expertinnen und Experten aus verschiedensten Bereichen: Bundesinnungsmeister KR Ing. Michael Mattes, der zertifizierte „Experte für barrierefreies Bauen“ Christian Höfner, SHT-Vorstand Mag. Wolfgang Knezek, Veronika Egger, Msc. vom Verein „Design for all“, Renate Kraus von der Pflegedienstleitung des Roten Kreuz sowie Artweger-Geschäftsführer Bruno Diesenreiter. Moderiert wurde die Gesprächsrunde, in der es um die Frage „Dusche statt Wanne?“ ebenso ging wie um tragende Wände im Bad, von Klaus Paukovits, Chefredakteur von „Der österreichische Installateur“.
Konjunkturprogramm auf Abruf
Herr Diesenreiter, als Duschenspezialist sind Sie bei Artweger sozusagen der Schlüssel zur Barrierefreiheit. Für viele steht und fällt dieses Thema mit der Dusche oder der Wanne im Bad. Wo steht die Branche Ihrer Meinung nach derzeit beim Thema „Barrierefreiheit?
Bruno Diesenreiter: Ich möchte dazu ein paar Zahlen beisteuern, und zwar habe ich mir eine aktuelle GfK-Umfrage angesehen: Demnach wollen 80 Prozent der Menschen über 40 Jahren in den eigenen vier Wänden bleiben. 60 Prozent von ihnen sehen eine Sanierung des Bades als vorrangig, um dies zu ermöglichen. Für unsere Branche ist das sozusagen ein „Konjunkturprogramm auf Abruf“! Doch viele in unserer Branche erkennen das noch nicht oder nur zu einem geringen Teil. Das Verständnis für die Wichtigkeit des Themas Barrierefreiheit ist noch nicht gegeben. In einem gebe ich Ihnen recht, die bodenebene Dusche ist sicher ein Megatrend unserer Zeit. Ich denke aber, dass der Trend zur Dusche und weg von der Wanne, also das eine rausreißen und durch das andere ersetzen, kurzsichtig ist.
Herr Mattes, als oberster Branchenvertreter der Installateure haben Sie das Thema nicht nur für die Interessenvertretung im Blick, sondern Sie setzen sich auch persönlich seit langem damit auseinander. Sehen Sie die Barrierefreiheit auch als „Konjunkturprogramm auf Abruf“, also als große Chance für die Zukunft?
KR Ing. Michael Mattes: Das Thema ist bekannt. Für mich ist es in der Planung selbstverständlich, auch die Bauordnungen schreiben Barrierefreiheit zunehmend vor, beispielsweise die kürzlich geänderte Bauordnung in Wien. Probleme gibt es weniger im Neubau als vielmehr im Altbau, hier bin ich an die baulichen Voraussetzungen gebunden, was die technischen Möglichkeiten zumeist einschränkt. Ein anderes Problem ist, dass viele Kollegen nicht genug darüber nachdenken und die Kunden nicht richtig beraten. Aber auch was die Nachfrage anbelangt, muss man sagen: Der Kunde bekommt das, was er will.
Rollstuhltauglichkeit ist etwas anderes!
„Design for all“ setzt sich seit rund acht Jahren für Barrierefreiheit in allen Baubereichen ein. Wie hat sich die Situation in dieser Zeit verändert und wie sieht ganz konkret die Situation im Bereich Bad aus – ist schon genug Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas da, sowohl was das Angebot als auch die Nachfrage betrifft?
Veronika Egger: Das Bewusstsein für das Thema hat sich stark verbessert. Man weiß, es ist ein Thema und es wird heute auch schon aktiv angesprochen. In der Praxis ist allerdings oft noch nicht klar, dass Barrierefreiheit nicht gleichzusetzen ist mit behindertengerechter Ausstattung. Bei der Barrierefreiheit geht es darum, dass eine Einrichtung für möglichst viele Menschen selbstständig nutzbar ist.
Herr Höfner, Sie sind einer der ersten Experten für barrierefreies Bauen. Was bedeutet das?
Christian Höfner: Ich habe die Ausbildung gemacht, die von ‚design for all‘ angeboten wird, und war beim ersten Jahrgang dabei. Wir haben dabei unter anderem gelernt, wie mit der Ö-Norm B 1600 umzugehen ist, in der die Anforderungen an barrierefreie Einrichtungen festgelegt sind, und wie begleitende Maßnahmen aussehen können. Ich habe sehr von den vielen Exkursionen profitiert, die gemacht wurden. Dabei haben wir beispielsweise die sogenannten altersgerechten Anzüge ausprobiert, um erfahren zu können, was es im Alltag heißen kann, wenn etwas nicht barrierefrei gestaltet ist. Wenn man einmal versucht hat, mit Skihandschuhen eine Waschtischarmatur zu bedienen, dann weiß man wie wichtig es ist, dass etwas einfach zu handhaben ist. Weil man eben bestimmte Handgriffe sonst nicht mehr ausführen kann. Aber wir müssen wegkommen von der Vorstellung, dass sich alles nur um später und ums Ältersein dreht. Oft sind es temporäre Einschränkungen wie eine Schwangerschaft, ein Unfall oder eine Krankheit, die den Wert der einfachen Handhabung von Alltagsgegenständen erst vor Augen führen. Ein weiterer Punkt, den ich in der Ausbildung gelernt habe, ist, dass es bei Barrierefreiheit um alle Sinne geht, also auch um die Wahrnehmung oder den Tastsinn. Aber wir denken bei der Barrierefreiheit in erster Linie nur an die Schwellen im Boden und an die Rollstuhltauglichkeit. Das ist aber nicht alles!
Lesen Sie das gesamte Branchengespräch in Ausgabe 2/2014 ab Seite 76.